Attribution: von Badewannen und Litfasssäulen

In einer komplexen Marketingstrategie, bestehend aus verschiedenen Kanälen, beteiligten Agenturen und sich ergänzenden Kampagnen stellt sich jedem Advertiser bald die Frage, welchen Einfluss die einzelnen Maßnahmen auf den Erfolg haben.

Anders gesagt: Spaziert ein Mensch die Straße entlang und sieht auf einer Litfaßsäule das Plakat für einen Kinofilm. Er liest das Kinoprogramm in der Zeitung, ein Kollege schwärmt, er schaut den TV-Spot – danach kauft er sich Kinokarten. Welche Interaktion ist die wichtigste?

Im Online Marketing: 100% des Lobes gehen an den TV-Spot. Denn Last Cookie wins: Der letzten Interaktion eines Käufers mit einem Werbemittel wird der Erfolg zu 100% zugesprochen. In der Online Marketing-Welt fällt diese Rolle häufig AdWords zu, weil der Kunde hier bereits aktiv nach einem Produkt sucht.

Aber was hat dieses Interesse initiiert? Was hat den User dazu bewegt, sich auf die Suche zu machen? Und verwundert es, dass sich der Litfaßsäulenbetreiber, die Zeitung und sogar der Kollege ärgern, weil ihre Werbung keine Berücksichtigung in der Auswertung der Kampagne findet?

Das Ergebnis ist ein Zustand, in der Anbieter verschiedenster Werbemaßnahmen, die an unterschiedlichen Stellen der Customer Journey ansetzen, mit einander konkurrieren. Ein Zustand, in dem Advertiser keinen Weg finden, eine ganzheitliche Strategie zu erstellen oder zu prüfen. Dabei sollten uns gerade im Online Marketing alle Möglichkeiten zur Verfügung stehen, jede Aktion zu tracken und mit anderen Aktionen zu verknüpfen.

Nur so lassen sich Kampagnen aufeinander abstimmen; dazu gehört auch ein abgestimmtes Frequency Capping über alle Kanäle, für alle Beteiligten. Ein Darüberhinwegsetzen von Anbietern, die extrem hohes Capping verwenden, verzerrt die Kampagnenleistung anderer Anbieter.

Wir müssen weg von der Single Source Attribution wie Last oder First Cookie, weg vom puren Click. Hin zu einer Attribution, die dem komplexen Zusammenspiel verschiedener Werbekanäle Rechnung trägt. Diese Attribution muss zwei Fragen stellen: Mit welcher Maßnahme beginnt die Customer Journey und welche Touchpoints haben weiteren Einfluss auf die Kaufentscheidung?

1. Welche Stelle der Customer Journey ist wichtiger als andere?

Im Unterschied zur Single Source Attribution werden den verschiedenen Touchpoints in der Fractional Attribution verschiedene Gewichtungen zugewiesen:

Gleichmäßige / lineare Verteilung

Alle Touchpoints teilen sich die Conversion auf – sie erhalten dieselbe Gewichtung.

Zeitverlauf / Schwerpunkt nahe der Conversion

Je länger eine Interaktion zurücklegt, desto geringer wird ihr Einfluss auf die Conversion angenommen. Die Gewichtung nimmt zeitlich zu.

Positionsbasiert/ Wannenmodell

Die erste und letzte Interaktion erhalten eine besondere Gewichtung, alle weiteren Touchpoints „teilen“ sich den Rest. Es hebt die Schwierigkeit hervor, einen User anzusprechen, der in einem definierten Zeitraum keinen nachweisbaren Kontakt zur Marke hatte, aber so exakt in die Zielgruppe passt, dass er nach vielen weiteren Touchpoints konvertiert.

Jeder Advertiser ist anders: KPIs, Bedingungen und Erfahrungen variieren je nach Produkt und Marke. Viele Attributionsmodelle (z.B. DV360, Google Analytics) bieten daher die Möglichkeit, Daten anhand verschiedener vorgegebener Modelle auszuwerten und eigene Modelle zu erstellen. Jedem Touchpoint wird eine eigene prozentuale Gewichtung zugeordnet.

2. Post-Click/Post-View

Wir wissen aus der Offline-Werbung, dass das Sehen einer Anzeige (Plakatwände und Fernsehspots), eine wichtige Position in der Customer Journey einnimmt. Im Online Marketing zählte dennoch lange ausschließlich der Click – bis 2007 die ersten Vermarkter Post-View-Tracking einführten.

Ein Streit entbrannte, nicht wenige forderten gar ein Verbot des Post-Views. Man einigte sich auf: „Click gewinnt über View“. Aber: wie wichtig ist ein View wirklich?

In der Attribution wird versucht, auch auf diese Frage eine Antwort zu geben: Genau wie sich den zeitlichen Touchpoints Gewichtungen zuordnen lassen, kann auch dem Click und dem View ein prozentualer Anteil zugeordnet werden. Manche nutzen die Modelle 90-10 (90% erhält der Click, 10% der View) andere 80-20. Wir empfehlen, mehrere Gewichtungen parallel zu testen: Wie verändert sich der Eindruck einer Kampagne / Maßnahme, wenn die Gewichtungen geändert werden? Durch diesen leichten, wiederholten Perspektivwechsel lassen sich Stärken, Schwächen und Potenziale aufspüren, die bei Verwendung eines einzigen Modells verborgen bleiben.

Zum Beispiel ist sehr unwahrscheinlich, dass ein User beim allerersten View eines Banners klickt – falls er es überhaupt tut: Bei einem unserer Kunden konnten wir beobachten, dass dessen User viele Views benötigen, bevor sie anschließend per Search zur Website kommen, um eine Bestellung aufzugeben. Attributionen, die Post-Views als sehr gering einstufen, könnten hier folglich dazu „raten“, das Budget zu kürzen. Sodass, der benötigte Erstkontakt nicht zustande kommt.

Trotzdem: Wir wissen nicht, ob der Mann der Litfaßsäule einen halben Blick zuwirft, ob er stehenbleibt oder sich gar das Datum merkt. Und selbst, wenn wir online messen, ob ein Werbemittel im sichtbaren Bereich des Users liegt, wissen wir nicht genau, welche Reaktion es hervorruft.

Genau daran arbeitet die Branche: Viewability, Brand Safety und Fraud Protection sind nur ein paar Ansatzpunkte, die die Qualität von Impressions / Views laufend verbessern.

Nicht zuletzt kann die Attribution dazu beitragen, den Traffic zu verbessern: Welcher Traffic führt zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Interaktion – und welcher versandet nach dem View / Click? Wenn dem Werbetreibenden für Prospecting, also dem ersten Schritt der Customer Journey, die Information übergeben wird, welcher Traffic 15 Schritte später zur Conversion führt, können wir dies zur Optimierung der Kampagne nutzen.

Fazit:

Ein Produkt und sein Markt verändern sich fortlaufend, sei es aufgrund von Weiterentwicklungen, saisonalen Schwankungen, oder Konkurrenz. Dass Marketing-Maßnahmen sich diesen Bewegungen anpassen müssen, ist unverzichtbar.

Genauso bewegt sich die Attribution: Sie ist kein statisches Konzept sondern ein fortlaufender Prozess. Sie benötigt die Augen eines Detektivs, der mit Modellen und Gewichtungen spielt, um Hinweise zur Verbesserung einer Marketing-Strategie aufzuspüren.

Für den Einstieg in die Attribution bietet sich das „Modellvergleichstool“ von Google Analytics an, wo man mit wenig Aufwand und geringen Kosten Modelle vergleichen kann. Allerdings eignet sich Google Analytics bei der Messung von Marketing-Maßnahmen nur sehr bedingt – wichtige Messgrößen (Post-View) kann es nicht erfassen. Für eine umfassende Attribution, die den Anspruch hat, alle Interaktion zu messen und einzuordnen, ist es daher unserer Meinung nach wenig geeignet. Mehr hierzu in unserem nächsten Blog!

Umfassender – und auch unsere Wahl – ist der Google’s Campaign Manager. Weitere Anbieter sind beispielsweise: Adclear (Customer Journey Analyse), Visual IQ und Tealium. Weitere finden Sie unter:

Egal, welcher Anbieter: Eine Unterbrechung der Customer Journey kann zur Folge haben, dass der mühsam gesuchte Interessent niemals zum Kunden wird. Jede Marketingmaßnahme hat ihre Funktion, jede greift zu spezifischen Zeiten in die Kaufentscheidung ein: Prospecting sorgt für Awareness, Retargeting für Verkäufe, Search greift immer wieder in die Reise ein.

Auch die Agenturen und Publisher müssen umdenken: Weg vom „Wir nehmen einander was vom Kuchen weg.“ Hin zu: Wir haben alle dasselbe Ziel. Den User auf seiner Reise zu begleiten. Ihm ein Produkt nahe zu bringen, von dem er anfangs nicht wusste, dass er es benötigt. Damit er es am Ende kauft.